Es ist Juni 2018. Ich bin gerade auf der Westautobahn unterwegs nach Tirol, um in der berühmten Villa Schindler in Telfs zum vermutlich letzten Mal den Konzertflügel zu stimmen. Annemarie Schindler, eine große Musikliebhaberin und Förderin von jungen, hochbegabten MusikerInnen, hat sich schweren Herzens entschlossen, ihre Konzertreihe nach fast 25 Jahren voller unvergesslicher Konzerte zu beenden.
Ich selbst bin in den vergangenen neun Jahren zu einem großen Freund und Bewunderer dieser einzigartigen Konzerte, der großartigen KünstlerInnen und ihrer ebenso wunderbaren Gastgeberin geworden. Die Geschichten, die ich bis dahin rund um die Konzerte in der Villa Schindler erleben durfte, lassen sich kaum in Worte fassen. Und die Konzerte selbst ließen mich nicht selten sprachlos zurück und viele sind mir bis heute in Erinnerung.
Es muss irgendwo bei Salzburg gewesen sein. Mitten in meine “Abschiedsstimmung” hinein bekomme ich einen Anruf:
“Hallo Stefan, na, wie geht ́s? Ich plane eine CD-Aufnahme und wollte dich fragen, ob du vielleicht einen guten Flügel für mich hast.” Fabian Müller, ein junger, hochbegabter Aimard-Schüler und Vielfach-Preisträger des ARD-Wettbewerbs 2017, liebt spontane Einfälle.
“Nein, leider”, antworte ich, “ich arbeite nicht mehr bei Steinway in Wien und habe keine Flügel mehr, die ich verwenden könnte.”
Nach ein paar Minuten endet unser Gespräch. Mitten in der Luft praktisch, ohne Lösung, ohne Idee.
Stimmen ist für mich wie Meditation:
Ich sitze gerade vor dem Instrument, meine Atmung ist tief und ruhig, und meine Gedanken sind völlig frei und gleichzeitig extrem fokussiert. Alles fließt. Und, wie so oft beim Stimmen, habe ich auch diesmal, praktisch aus dem Nichts, eine Idee, die so verrückt wie normal ist, so einfach wie unmöglich. Ich bin noch allein in der Villa Schindler und die Hausherrin sollte in wenigen Minuten aus Paris kommend eintreffen. Ich kann es nicht erwarten, Annemarie Schindler meine Idee zu verkünden. Endlich öffnet sich die Tür und die Dame des Hauses betritt die Villa.
„Annemarie“, laufe ich ihr aus dem Konzertsalon entgegen, „ich habe eine Idee, was wir mit deinem Flügel machen!“
„Ich auch“, entgegnet sie lächelnd.
„Du zuerst, es ist ja dein Flügel!“ erwidere ich voller Ungeduld.
„Wir stellen den Flügel den Künstlern zur Verfügung.“
Ich bin überrascht; sprachlos, wahrscheinlich von unmerklicher Dauer; vermutlich kneife ich auch diesmal wieder die Augen leicht zusammen, wie ich es immer mache, wenn ich gespielt den Beleidigten gebe, beraubt der Lobpreisungen für einen genialen Einfall. Mit zusammengebissenen Zähnen zische ich, betont langsam:
„D___ a___s____ ____w___a___r____ ____m___e___i___n___e____ ____I___d___e___e !“
Wir beide lachen, begrüßen uns herzlich und nur zwei Stunden später hat Fabian Müller den idealen Flügel für seine neue Brahms-CD!
Bis hierhin würde unser Projekt wohl lediglich „piano solo“ heißen. Und auch die Idee zu einem zweiten Flügel entsprang einer spontanen Verrücktheit.
Es ist Montag, der 28. Oktober 2019, 18:50 Uhr.
Till Fellner und ich sitzen an Annemarie Schindlers Steinway, auf der Bühne des Wiener Konzerthauses. Es sind nur noch wenige Minuten bis zum Saaleinlass. Und mitten in der Vorbereitung der letzten Töne fragt mich der Pianist, mit dem mich bereits seit fast 20 Jahren eine vertrauensvolle Zusammenarbeit verbindet, nach einem geeigneten Instrument für ein geplantes Beethoven-Klavierkonzert im darauffolgenden Jahr.
Vor dem Instrument sitzend und nach vorn über die Mechanik gebeugt, versuche ich mit wenigen leichten, aber zügigen Stichen den letzten störrischen Hammerkopf auf klangliche Augenhöhe mit seinen filzigen Nachbarn zu bringen.
Und plötzlich, praktisch ohne Ankündigung, ist sie da; die Antwort auf die Frage des Pianisten und gleichzeitig die entscheidende Idee zu piano duo:
„Dass Sie heute Abend einen Flügel spielen werden, den Sie vor vier Tagen noch nicht kannten und den Sie noch niemals zuvor in einem Konzert gespielt haben, ist ein unglaublicher Vertrauensbeweis, den ich Ihnen niemals vergessen werde“, wende ich mich, über meine linke Schulter nach hinten sprechend, an den Solisten. „Aber jede Verrücktheit braucht eine Steigerung. Herr Fellner, was halten Sie davon, wenn Sie beim nächsten Mal einen Flügel spielen, der heute noch gar nicht gebaut ist? Ich überlege, einen Steinway zu kaufen und wir könnten ihn punktgenau für Ihr Konzert bauen – Sie müssen nur „Ja“ sagen!“
„Ja“, kam die Antwort schneller als der letzte Stich in den Hammerkopf. Keine drei Stunden und einen fulminanten Klavierabend später sind wir verabredet. Wir bauen uns einen Steinway! Und ganz nebenbei ist so die Idee für piano duo entstanden.
Das Ziel mit diesem zweiten, fabrikneuen Instrument soll es sein, eine Alternative von großer klanglicher Schönheit, jedoch mit einem völlig anderen Charakter zu schaffen; für alle Stilrichtungen, Konzertsäle und PianistInnen, deren Anforderungen und Geschmäcker mit dem älteren Flügel allein nicht abgedeckt werden können.
Um KünstlerInnen und MusikfreundInnen gleichermaßen über unser piano duo Projekt zu informieren, haben Annemarie Schindler und ich uns entschlossen, unsere Idee in einem Brief vorzustellen. Sollten Sie unseren Brief bisher nicht kennen, lesen Sie ihn hier.