Johannes Kammann war als Aufnahmeleiter bei Fabian Müllers CDs „Passionato“ und „31“ für weit mehr als nur für den guten Klang verantwortlich. In diesem spannenden Gespräch erzählt uns der Diplom-Tonmeister über das Henne-Ei-Problem bei Aufnahmen, dem Wunsch nach einem zweiten Paar Ohren und warum er fast Bauchschmerzen bekommt, wenn er eine seiner Aufnahmen im Radio hört. Und Johannes Kammann verrät uns von einem Traum, der bis heute noch nicht an ihn herangetragen wurde…
Herr Kammann, wie lautet Ihre genaue Berufsbezeichnung?
Eine gute Frage! Auf meinem Studienabschluss steht „Diplom-Tonmeister“. Aber auf meiner Visitenkarte steht „Recording producer“. Ich finde „Tonmeister“ eigentlich die angemessenere Bezeichnung, weil sie den klanglichen und den musikalischen Teil gut umfasst. Das Einzige, was ich nicht mag, ist die englische Bezeichnung „Recording supervision“, das ist mir zu autoritär. Schön finde ich die Bezeichnung, die man früher in der DDR verwendete: „Musikregie“.
"Das Einzige, was ich nicht mag, ist die englische Bezeichnung „Recording supervision“, das ist mir zu autoritär."
Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen? Einem Beruf, von dem viele Menschen nicht einmal wissen, dass es ihn gibt…
Das ging mir genauso! Ich wusste auch nicht, dass es diesen Beruf gibt! Ich scheue mich fast das zu sagen, aber ich habe davon im Berufsinformationszentrum erfahren, das ich als Schüler besucht habe. Dort wurden meine Stärken und Interessen abgefragt, und es gab eine Liste von fünf, sechs Berufen, die danach in Frage kamen. Und einer davon war Tonmeister. Bald darauf habe ich ein Praktikum gemacht und war sofort Feuer und Flamme. Ich habe diesen Weg eingeschlagen und es bis heute nicht bereut. Und dieser Beruf entspricht in seinen Anforderungen genau dem, was ich auch bieten kann.
Und welche Eigenschaften sollte man mitbringen, um diesen Beruf zu ergreifen?
Man sollte bereits Musiker sein! Wenn man nicht auf hohem Niveau Musik machen kann, dann kann man sich nicht gut einfühlen, man kann kein guter künstlerischer Partner für die Musiker sein. Man sollte auch ein gewisses kommunikatives Geschick mitbringen. Das kann man auch schwer erlernen. Es gibt sicher Dinge, die man sich aneignen kann, aber wenn man diese Kommunikationsfähigkeit nicht von Natur aus hat, dann wird es bestimmt schwierig. Große Geduld braucht man sicherlich auch.
Dagegen ist es nicht so wichtig, dass man ein großes technisches Verständnis mitbringt. Das kann man sicher am ehesten erlernen von all den Dingen, die man braucht.
Welche Tätigkeiten verbergen sich dahinter, was gehört zu Ihren Aufgaben?
Die Tätigkeit, die nach außen am meisten hervorsticht, ist die Aufgabe, bei der Aufnahme ein musikalischer Partner für die Künstler zu sein. Dazu gehört aber auch der ganze Teil, der dazu führt, dass man am Ende die Aufnahme überhaupt hören kann: alles Technische im Hintergrund und die Klangeinstellung über die Mikrofone. Und ein ganz wesentlicher Teil nach den eigentlichen Aufnahmetagen ist die Nachbearbeitung. Das ist meistens der Schnitt, bei größeren Produktionen auch die Tonmischung. Das Mastering – also im Grunde alles von der Idee bis zum fertigen CD-Master – gehört zu meinen Aufgaben.
Das hört sich nach sehr viel Arbeit an! Wie viele Minuten Arbeit stecken denn in einer 70-minütigen CD?
Oh! Ein Vielfaches dieser 70 Minuten! Ich habe mir abgewöhnt, meine Arbeitsstunden genau zu zählen, weil ich das Gefühl habe, dass ich dann notwendige Dinge nicht tun würde, wenn das Arbeitszeitkonto schon erschöpft ist. Deshalb kann ich das nur ungefähr beantworten.
"Ich habe mir abgewöhnt, meine Arbeitsstunden genau zu zählen."
In der Nachbearbeitung habe ich bei einer CD meistens 2 Wochen Arbeit. Manchmal drei, das kommt immer darauf an, wie viel zu schneiden und zu mischen ist und wie die Wünsche des Künstlers sind. Dazu kommen die eigentlichen Aufnahmetage. Und ich benötige natürlich auch Vorbereitungszeit. Zumindest versuche ich, mir die Stücke vorher gut anzuschauen. Das ist bei modernerer Musik manchmal sehr viel Arbeit, kann aber auch schnell gehen, wenn mir die Werke bekannt sind. Aber pro CD sind es insgesamt gut drei Wochen Arbeit.
Was nehmen Sie auf? Welche Arten von Musik? Vielleicht auch Hörspiele oder Hörbücher?
Ich mache im Grunde nur Musikaufnahmen und auch nur im Bereich der sogenannten klassischen Musik. Ich habe bis jetzt zwei Jazz-CDs aufgenommen, weil beide Male meine Klangästhetik, die ich aus der Klassik mitbringe, den Jazz-Pianisten sehr gefiel. Aber das ist nicht mein Spezialgebiet. Und da fühle ich mich auch sehr fremd und unsicher in Fragen der Klangästhetik und der musikalischen Ästhetik. Und deshalb mache ich nur Aufnahmen im Bereich der Klassik. Aber dort mache ich im Grunde alles: Wir haben uns ja über Klavieraufnahmen kennengelernt, die letzte Aufnahme direkt vor diesem Gespräch waren Violinkonzerte von Nielsen und Szymanowski, also mit großem Symphonieorchester. Nächste Woche nehme ich Alte Musik auf, mit einem Barockorchester und Chor und Solisten, Bach „Magnificat“. Das zeigt die Bandbreite meiner Tätigkeit. Darunter ist wenig neue Musik und zu meinem großen Verdruss auch nur wenige Lied-Aufnahmen.
Bei dieser Aufzählung Ihrer vielfältigen Tätigkeitsbereiche, gibt es etwas, das Sie besonders gerne aufnehmen?
Nein, das kann ich so nicht sagen. Am weitesten - rein musikalisch – kommt man sicher bei kleinen Besetzungen. Sei es Solo-Klavier, sei es Klammermusik. Der große Apparat eines Orchesters bedingt zwangsläufig immer eine geringere Detailliertheit. Aber dafür ist der Nervenkitzel ungleich höher – wenn man verantwortlich ist für so verschiedene Persönlichkeiten in meistens so knapper Zeit. Das hat auch etwas, das mir Spaß macht. Aber wenn man wirklich musikalisch Tiefgehendes erreichen will, dann sind die kleinen Besetzungen eigentlich interessanter.
Eben fiel das Wort „Nervenkitzel“. Würden Sie sagen, dass Live-Aufnahmen den „Studio“-Aufnahmen etwas voraushaben, was die Spontanität, die Spannung angeht?
Ja, unter Umständen schon. Es ist sogar so, dass ich in den Studio-Aufnahmen versuche, eine Art Konzert-Atmosphäre zu erzeugen. Und sei es nur mit zwei Zuhörern, die im Saal sitzen. Um genau diese Spannung nicht verloren gehen zu lassen. Wenn man sich den Luxus erlauben könnte, alle Konzerte aufzunehmen und dann die nicht gelungenen zu verwerfen und nur die guten zu veröffentlichen, wäre das sicherlich ein guter Weg – sehr kostspielig am Ende, aber sicherlich ein guter Weg zur perfekten Aufnahme.
"Wenn etwas musikalisch oder technisch misslingt, kann man die Fehler genau benennen und verbessern."
Dafür hat man im Studio das Netz mit dem doppelten Boden. Wenn etwas musikalisch oder technisch misslingt, kann man das wiederholen und auch die Fehler genau benennen und verbessern. Das ist aber der Spontanität nicht unbedingt zuträglich. Man kommt vielleicht in Details noch tiefer als im Konzert, aber ich würde schon sagen, dass die Musik, die live für ein Publikum gespielt wird, fast immer besser gespielt wird, als im Studio nur für die Mikrofone.
Viele meiner Gesprächspartner haben das bereits genau so betont, nämlich den großen Unterschied zwischen einem Live-Konzert und „Konserve“ bzw. in diesem Fall zwischen Live-Aufnahmen und Studio-Aufnahmen. Lässt sich das irgendwie noch greifbarer erklären, was den Unterschied ausmacht? Ist es das Risiko, das Adrenalin, das man am Ende hören kann?
Gute Frage! Also was das Risiko angeht, da habe ich andere Erfahrungen. Wenn man die Musiker ermutigt, kann das Risiko, das sie eingehen, in einer Studio-Aufnahme durchaus höher sein, verglichen mit dem Risiko, dass sie bereit sind, in einem Konzert einzugehen. Weil ein möglicher Fehler dann nicht so schwer wiegt, durch die Möglichkeit, zu wiederholen und auch schneiden zu können. Am meisten denkt man bei Studio-Aufnahmen an die Konservierung für die Ewigkeit und verhält sich dadurch oft wie das Kaninchen vor der Schlange - steif und ängstlich. Das Gegenteil wäre aber sinnvoll.
Der Vorteil einer Live-Aufnahme liegt darin, dass man vor Publikum nur einmal durchspielt und auf jeden Fall einen durchgehenden Erzählfaden behält. Und das kann bei Studio-Aufnahmen ohne Publikum, mit der Möglichkeit, beliebig oft wiederholen zu können, schnell verloren gehen. Zusätzlich besteht die Gefahr, dass man sich in Details verzettelt und dabei die eigentliche Aussage der Musik verliert.
Bei Pianisten habe ich oft beobachtet, dass der Klang, den sie auf einem Flügel erreichen, im Konzert oft feiner, singender, runder ist. Die Dynamiken sind oft etwas übertrieben bei Studio-Aufnahmen, weil man das ja auch möchte, und der Anschlag wird manchmal etwas härter. Das alles lässt sich schwer in Worte fassen, aber man kann, wenn man die Takes vergleicht, gerade wenn man Studio-Takes und die Takes einer Live-Aufnahme kombiniert, immer schon am Klang erkennen, welche die Live-Aufnahme ist.
Für mein Verständnis: Bei allen Unterschieden zwischen einem Live-Konzertmitschnitt und einer Studio-Aufnahme, über die Sie jetzt gesprochen haben, handelt es sich um auch für Laien bewusst hörbare oder zumindest unterbewusst wahrnehmbare Unterschiede?
Auf jeden Fall! Ich bin mir auch sicher, dass auch ein Laie spüren würde, ob eine Aufnahme mit viel Schnitten und Nachbearbeitung produziert wurde oder ein größerer Bogen, eine größere Natürlichkeit dahintersteckt. Auch wenn der Laie vielleicht nicht genau benennen kann, woran er es merkt. Aber da bin ich mir ganz sicher, dass sich das auf den Hörer überträgt. Das ist eine andere Welt! Natürlich gibt es auch Dinge, an denen man mit Pianisten oder Dirigenten feilt, und die außer den Beteiligten niemand wahrnimmt. Aber das, worüber ich gesprochen habe, ist für jeden wahrnehmbar.
"Das, worüber ich gesprochen habe, ist für jeden wahrnehmbar."
Wenn man das jetzt alles zusammenfasst – was macht eine Referenzaufnahme aus? Kann man das benennen?
Eine Referenzaufnahme sollte die vielleicht idealisierte Interpretation des Künstlers der Partitur wiederspiegeln, und die Essenz seiner Gedanken auf CD bannen. Ich glaube, das ist das Ziel. In jedem Konzert gibt es den Zufall, der positiv oder negativ sein kann. Es können Dinge geschehen, die interessant klingen, aber am Ende doch abweichen von dem, was man ursprünglich machen wollte. Es geht dabei nicht darum, dass man sich verspielt, sondern dass hier ein kleiner Akzent kommt, den man nicht wollte oder man das Thema etwas lauter spielt und man darauf reagiert, wenn es in der Reprise noch einmal kommt. Das macht das Konzert interessant, aber am Ende, wenn man alles noch einmal hört, denkt man: eigentlich hatte ich etwas Anderes vorgehabt. Und eigentlich steht es auch anders in den Noten. Wenn man das alles zusammenbekommen kann, diese Frische der Gedanken aus dem Konzert aber trotzdem das Durchdachte der einmal festgelegten Interpretation, dann hat man wahrscheinlich eine Referenzaufnahme erreicht.
"Am Ende, wenn man alles noch einmal hört, denkt man: eigentlich hatte ich etwas Anderes vorgehabt."
Was ist die größte Schwierigkeit, mit der Sie bei einer Aufnahme konfrontiert werden können?
Die größte Schwierigkeit ist, wenn die innere Vorstellung von dem, wie es klingen soll, nicht in voller Klarheit vorhanden ist. Das kommt immer mal wieder vor, dass in einem Ensemble unausgesprochen verschiedene Vorstellungen vorhanden sind, an denen man sich immer ein bisschen entlang arbeitet. Weil man den Dissens vorher nie genau auf den Punkt gebracht und geklärt hat. Das gibt es sehr oft. Das gibt es sogar bei einem Solisten: das Eine liest er in den Noten, das Andere kennt er von seinem geschätzten Lehrer, wieder Anderes hat er auf Aufnahmen von berühmten Künstlern gehört. Aber er selbst weiß nicht, was er eigentlich wirklich möchte.
Für sich genommen, sind das alles gangbare Wege, aber wenn der eigene Weg nicht klar ist, dann kann es sehr schwierig sein, sich genau festzulegen und später mit Entscheidungen, die man während der Aufnahme getroffen hat, vollständig zufrieden zu sein.
Was macht für Sie, rein technisch und auf Ihren Arbeitsbereich bezogen, eine wirklich perfekte Aufnahme aus?
Ich finde das Ergebnis einer Aufnahme dann am besten, wenn man den Eindruck hat, dass meine Arbeit gar nicht auffällt. Wie auch immer das zustande gekommen ist. Hier spielt Pianist Soundso das Werk von Komponist Soundso.
Und ob ich geschnitten habe und ob da Mikrofone stehen und ob ich meinen Input gegeben habe oder nicht, das ist alles transparent und bleibt im Hintergrund. Und man hat das Gefühl, ein echter Mensch macht echte Musik.
"Und man hat das Gefühl, ein echter Mensch macht echte Musik."
Können Sie uns eine solche Referenzaufnahme empfehlen? Eine von Ihnen und vielleicht auch eine Ihrer KollegInnen?
Eine konkrete Aufnahme herauszugreifen wäre sicher unfair all den anderen hervorragenden Einspielungen gegenüber!
Was meine eigenen Aufnahmen betrifft, höre ich sie nur solange gerne an, solange ich noch an ihnen arbeite und gegebenenfalls etwas ändern könnte. Sobald ich alles abgeschlossen habe und das Master verschickt ist, ändert sich das. Und wenn ich dann durch Zufall eine meiner Aufnahmen im Radio höre, bekomme ich fast Bauchschmerzen, weil ich immer erwarte, gleich einen Fehler zu hören, den ich übersehen habe.
Natürlich ist alles gründlich geprüft und mir ist im Grunde klar, dass da nichts mehr sein kann, aber ein ungutes Gefühl bleibt immer. Deswegen möchte ich von meinen eigenen Aufnahmen auch lieber keine empfehlen...
"Wenn ich eine meiner Aufnahmen im Radio höre, bekomme ich fast Bauchschmerzen."
Zu Beginn meiner Tätigkeit bei Aufnahmen, das war Anfang der 1990er Jahre, wurden diese von den Plattenfirmen mit viel Personalaufwand realisiert. Vielleicht übertreibe ich jetzt ein wenig, aber in meiner Erinnerung spielte sich eine Aufnahme folgendermaßen ab: Ein Mitarbeiter schleppte das bleischwere Equipment die Treppen rauf, ein anderer stellte die Mikrofone auf und fütterte die riesigen Aufnahmegeräte mit Magnetbändern - so groß und schwer wie halbe Ziegelsteine. Ein dritter las die Noten mit und der vierte - er trug meist einen Schal und verstand es dann meisterhaft, ihn sich minütlich mit großer Geste frisch um den Hals zu werfen – gab den Dreien seine Anweisungen. Heute werden Aufnahmen von maximal zwei Personen realisiert: dem Tonmeister (recording engineer) und dem Aufnahmeleiter (recording producer). Sie selbst arbeiten (oft) alleine und finden beides: den richtigen Klang und die falschen Noten. Wie geht das? Was hat sich in den letzten dreißig Jahren in Ihrem Beruf geändert, damit es zu solchen Veränderungen überhaupt kommen konnte?
Da spielen mehrere Dinge mit hinein: das eine ist, dass die Geräte, mit denen wir aufnehmen, wesentlich kleiner und leichter geworden sind. Und mittlerweile auch so sind, dass man sich während der Aufnahme nicht besonders darum kümmern muss. Früher war das eine Vollzeitaufgabe, die Bänder zu wechseln und die Zeiten aufzuschreiben, um die Stellen wieder finden zu können. All das ist weggefallen, seitdem wir mit Computern aufnehmen. Der Beruf des Tontechnikers ist dadurch praktisch weggefallen. Das andere ist die Budgetfrage: Ich würde immer gerne zu zweit arbeiten. Ich finde es besser, ein zweites paar Ohren zu haben, mit dem ich mich austauschen kann, über klangliche Fragen, über musikalische Fragen. Auch zur Kontrolle, damit mir jemand sagt, dass ich etwas überhört habe. Und damit ich jemanden fragen kann, ob das jetzt gut genug war oder nicht. Das ist leider finanziell oft nicht denkbar. Heute ist es so, dass größere Teams nur noch eingesetzt werden, wenn die Ensembles größer werden.
Apropos Änderungen: Viele unserer Leser erinnern sich noch an die traditionelle Schallplatte, der im Rückblick teilweise wundersame Eigenschaften nachgesagt werden – trotz Knacken, trotz Verschleiß und trotz einer extrem umständlichen Handhabung. Jetzt, wo wir den Fachmann schon einmal hier haben: Was ist der klangliche Unterschied zwischen LP und CD? Gibt es einen Unterschied, den auch Laien wahrnehmen können?
Ja, den gibt es. Allerdings muss ich sagen, dass ich persönlich die Verherrlichung der LP nicht teile. Der „analoge Klang, der mehr Lebendigkeit hat“, gehört in einen Bereich, den man wahrscheinlich der Fantasie oder Spekulation, vielleicht auch dem Bereich der „Selbstüberredung“ zuordnen kann.
Ich kenne das auch von mir selbst: wenn ich denke, jetzt stelle ich etwas besonders Gutes am Klang ein und ich drehe perfekt an diesem Knopf und jetzt ist die Klangfarbe genau richtig – dann stelle ich fest, dass dieses Gerät überhaupt nicht eingeschaltet ist…Nur weil ich dachte, dass es so ist, habe ich es auch gehört! Ich glaube, vieles von dem wahrgenommenen Unterschied muss man dahingehend einordnen.
"...,dann stelle ich fest, dass dieses Gerät überhaupt nicht eingeschaltet ist…"
Einen Unterschied gibt es aber tatsächlich: das Frequenzspektrum. Insbesondere was den Bassbereich angeht, ist es auf der LP sehr schwierig, eine natürliche, größere Lautstärke zu haben, ohne dass der Klang im Bass mono werden muss. Mono heißt, dass aus allen Lautsprechern der gleiche Klang herauskommt. Das ist bei der CD nicht notwendig und klingt wesentlich besser! Das ist wahrscheinlich der größte wahrnehmbare Unterschied zwischen LP und CD.
Der schlechte Ruf der CD ist meines Erachtens nicht wirklich begründet und rührt vielleicht daher, dass zu Beginn der CD-Aufnahmen die Technik noch nicht so weit entwickelt war, wie sie es heute ist. Und es gibt aus dieser Zeit tatsächlich Aufnahmen, die einen sehr schlechten, harten, digitalen Klang hatten. Das war damals nicht besser möglich, heute ist das aber kein Problem mehr.
Lassen Sie uns einen Blick in die Glaskugel wagen: Was, glauben Sie, ist die Zukunft der immer weiter voranschreitenden Digitalisierung der Musikbranche? Wird es in Zukunft überhaupt noch physische Datenträger wie den Speicherstick und die CD geben?
Nein! Das glaube ich nicht! Die Verkaufszahlen im Klassik-Bereich sind jetzt schon so gering geworden, dass es sich kaum mehr lohnt, die Produktionskosten auf sich zu nehmen. Und es ist bereits heute oft schon so, dass die Plattenfirmen, sobald die erste Charge einer CD vergriffen ist, nur noch auf den Online-Vertrieb setzen und keine zweite CD-Pressung auflegen - weil sie fürchten, nicht mehr genug verkaufen zu können. Ich glaube, das wird sich immer weiter zuspitzen, so dass die physischen Tonträger irgendwann nur noch ein Nischen-Dasein führen werden; um als Geschenke oder bei Konzerten verkauft zu werden. Alles Andere wird man dann über Streaming oder Download kaufen und hören können.
Wird es dann bei Streaming oder Download einen hörbaren Unterschied geben?
Das muss nicht sein! Dass kann in der exakt gleichen Qualität wie bei der CD sein, sogar besser. Im Moment ist es nicht so gut. Gerade Streaming ist meist datenreduziert mit ganz guten Algorithmen, aber im direkten Vergleich zur CD ist das meistens schlechter. Das ist eine Frage der Bandbreite, die man in der digitalen Verbindung nutzt. Und ob man bereit und in der Lage ist, alle Aufnahmen hochauflösend auf den Streaming-Server hochzuladen. Das ist zumindest technisch machbar. Eigentlich sehe ich darin einen großen Vorteil, weil die CD im digitalen Format gerade so ausreicht für das, was man als Mensch wahrnehmen kann. Aber man kommt an manchen Stellen an die Grenze, so dass man denkt, ein paar Bit mehr Tiefe, eine etwas höhere Abtast-Frequenz wäre besser für den Klang. Und das ist bei Streaming problemlos machbar, weil man dort nicht auf dieses feste digitale Format der CD angewiesen ist.
Hat sich das Klangempfinden der Menschen geändert?
Das hat sich auf jeden Fall geändert. Was ich mit einem weinenden Auge sehe, ist, dass heute viel mehr Musik unterwegs gehört wird. Meistens aus Handy-Lautsprechern oder kleinen Kopfhörern im Ohr. Ich kann das verstehen und mache das selber auch – aber für die Klangqualität ist das natürlich verheerend! Ich freue mich über jeden, der sich zu Hause gute Lautsprecher hinstellt oder sich gute Kopfhörer zulegt und konzentriert Musik hört. Das ist selten geworden. Aber wenn ich meine Aufnahmen mache, dann denke ich immer an so jemanden als idealen Zuhörer. Denn so kann man wirklich diesen Reichtum wahrnehmen - sowohl klanglich, als auch musikalisch. Jeder Musiker arbeitet sein ganzes Leben lang an seinem Klang. Und wenn man das in seiner vollen Schönheit wahrnehmen kann, ist das ein ganz großes Plus.
"Ich freue mich über jeden, der sich gute Lautsprecher hinstellt oder sich gute Kopfhörer zulegt und konzentriert Musik hört."
Wodurch kommt es zu dieser Veränderung? Ich frage mich oft, ob es die technischen Möglichkeiten sind, die unsere Wahrnehmung beeinflussen, oder unsere Bedürfnisse an Lautstärke, Geschwindigkeit und Sauberkeit, die die Musikbranche zu neuen Produkten animiert?
Das ist das Henne-Ei-Problem! Weil die technischen Möglichkeiten vorhanden sind, dass man sehr viel schneiden kann und dadurch Schwierigkeiten im Zusammenspiel und der Intonation und die falschen Töne sehr gut korrigieren kann, ist der Wunsch da, dass das auch immer korrigiert sein muss. Fast immer, wenn ich eine Aufnahme mache und so etwas nicht korrigiere, weil es mir nicht notwendig erscheint und weil ich vielleicht sogar denke, dass im unkorrigierten Take eine besondere Schönheit zu hören ist, die vielleicht durch zu viel Eingreifen verloren geht, dann sind es fast immer genau diese Stellen, die auf den Wunschlisten der Künstler stehen, mit der Bitte, sie zu korrigieren. Und ich glaube persönlich, dass die Musiker mir diese Listen nicht unbedingt schicken, weil sie selber jeden Ton zusammen und sauber hören möchten – sondern weil sie denken, dass das Publikum das erwartet. Und das Publikum erwartet das vermutlich aus seiner Hörerfahrung, die wiederum aus perfekt geschnittenen CDs resultiert. Und das sorgt auch für einen unglaublichen Perfektionsdruck in den Konzerten, der der musikalischen Freiheit nicht besonders guttut.
"Es sind fast immer genau diese Stellen, die auf den Wunschlisten...
...der Künstler stehen, mit der Bitte, sie zu korrigieren."
Wenn ich mir alte Aufnahmen von Artur Schnabel anhöre – wie viele falsche Töne er gespielt hat und wie unsauber das teilweise ist – das würde sich heute niemand mehr trauen, auf den Markt zu bringen. Und trotzdem sind es Referenzaufnahmen mit großer musikalischer Qualität.
Wenn man sich ein bisschen mehr Ungenauigkeiten zugestehen würde zugunsten der Kunst und des musikalischen Ausdrucks, dann wäre das ein guter Schritt zurück.
"Das würde sich heute niemand mehr trauen, auf den Markt zu bringen."
Ich durfte Ihnen bei der Schubert-Aufnahme von Fabian Müller über die Schulter schauen. Sie müssen auch ein Empfinden für klangliche und musikalische Ästhetik besitzen. Ihre Spiel-Anweisungen, oder sollte ich besser sagen, Spiel-Vorschläge, sind so fein, dass Sie anfangs kaum wahrnehmbar sind… Aber wenn der Pianist sie umsetzt, hört man sofort eine deutliche Verbesserung. Kann man ein solches Gespür für die richtige Interpretation lernen oder ist das Talent?
Beides! Also sicherlich ist da sehr viel Erfahrung dabei. Nicht zuletzt, weil ich ja immer mit anderen Musikern arbeite, die alle unterschiedliche Dinge an ihrem Spiel verbessern, lerne ich sehr viel. Aber das ist der Hintergrund meiner Aussage zu Beginn unseres Gesprächs: man kann sich nicht erst mit der Musik beschäftigen, wenn man diesen Beruf ergreift. Wenn man selbst nicht auf einem gewissen Niveau als Musiker ist, dann wird man nicht auf diesem Niveau bestimmte Dinge hören, sagen und vermitteln können. Man wird sich auch nicht so gut einfühlen können in die Schwierigkeiten, die vielleicht dazu führen, dass die Probleme auftreten; warum der Musiker in diesem Moment nicht frei ist, der Ausdruck nicht gelingt oder warum der Ton nicht so klingt, wie man es sich wünscht. Sicherlich ist es gut, wenn man das Problem erkennt und benennen kann, aber viel wichtiger ist, dass man es schafft, quasi unmerklich und mit positiven Kommentaren, einen Weg aus diesen Problemen heraus zu öffnen, anstatt zu sagen: dies klingt nicht gut und das klingt falsch.
Sie müssen auch ein ausgesprochener Psychologe sein, der es versteht, den Blick oder besser das Hören der Interpreten auf das Wesentliche zu richten…
Das ist ein ganz wichtiger Punkt!
Das ist etwas, was ich auch bei Aufnahmen erlebt habe - dass sich der Pianist praktisch verläuft in seinem Fokus und dass Sie versucht haben, ihn einfach wieder geradeaus schauen zu lassen und nicht nach hinten und nicht zur Seite…
Das ist ganz treffend formuliert! Das ist genau der Anspruch, den ich an mich selber stelle. Das passiert häufig. Wenn man ein Konzert spielt, dann bereitet man sich den ganzen Tag darauf vor und sitzt am Ende des Tages auf der Bühne. Es ist eine andere Situation, wenn man morgens um 10 Uhr vom Frühstück kommt und sich an das Instrument setzt. Dann ist man automatisch in einer anderen geistigen Verfassung. Man kann manche Dinge vielleicht besser machen, andere aber nicht und man kann sich dabei sehr leicht verlaufen. Anders als mit einem Ensemble, wo das Kollektiv eine gewisse Kontrollfunktion übernimmt, ist es besonders, wenn man mit Solokünstlern arbeitet, eine der Hauptaufgaben, dieses „Verlaufen“ frühzeitig zu erkennen.
Andererseits haben Sie es mit Künstlern zu tun. Mit Menschen also, die mit einer teilweise sehr starken Persönlichkeit ausgestattet sind. Wie schaffen Sie es trotzdem, Ihre Vorschläge durchzubringen?
[lacht] Also, ich versuche nicht, meine Vorschläge durchzubringen! Ich versuche immer, die Meinung des Künstlers zu respektieren und ich würde niemals versuchen wollen, dass am Ende die Aufnahme nach mir klingt. Es muss immer der Künstler zu hören sein und ich versuche lediglich, den Musikern dabei zu helfen, zu sich selbst zurückzufinden, wenn dieser Fokus gerade nicht da sein sollte. Das mit der ausgeprägten Persönlichkeit gehört natürlich dazu. Wenn man möchte, dass die Künstler auf der Bühne das Sendungsbewusstsein haben, dem Publikum ihre Gefühle und musikalischen Gedanken mitzuteilen, dann kann man nicht erwarten, dass diese Menschen eine Persönlichkeit besitzen, wie wir beide sie vielleicht haben. Man muss sich ein dickes Fell aneignen, große Geduld haben und immer versuchen zu erkennen, was hinter den Kommentaren und den Ausbrüchen, die es vielleicht gibt, der eigentliche Wunsch ist.
Und man muss versuchen, da anzusetzen und zu helfen. Am Ende ist es immer so, dass ja alle daran interessiert sind, dass die Aufnahme musikalisch besonders gut wird. Und da kann man immer einen gemeinsamen Weg finden.
"Ich würde niemals versuchen wollen, dass am Ende die Aufnahme nach mir klingt."
Apropos „gemeinsamer Weg“: Hatten Sie schon Situationen, bei denen Sie überhaupt nicht einverstanden waren mit den Ansichten der Künstlerin bzw. des Künstlers?
Ja, das gibt es immer mal wieder.
Und wie haben Sie die Situation gelöst?
Das ist schwer zu lösen. Wenn ich anderer Ansicht bin, dann sage ich das. Und je fundamentaler meine Opposition ist, umso klarer sage ich das. Wenn ich das Gefühl habe, dass das, was gerade gespielt wird, gegen die Intention des Komponisten verstößt, dann kann man das meistens an den Noten festmachen. Und das tue ich dann auch. Im Zweifel, wenn einfach zwei Welten aufeinanderprallen, übernehme ich die Meinung des Künstlers, weil es ja am Ende seine CD sein muss. Aber mir ist ganz wichtig, genau klar zu machen, warum ich etwas anders sehe. Weil dieser Moment eventuell die letzte Chance ist, einen möglichen Fehler zu überdenken, der danach für die Ewigkeit festgehalten wird. Aber es kommt schon manchmal vor, dass es Aufnahmen gibt, von denen ich weiß, dass sie den Künstlern gut gefallen, die ich aber selber gar nicht so sehr mag. Das ist auch Teil des Berufes. Aber auch dann versuche ich, den Künstlern die Aufnahme in ihrem Sinne so gut wie möglich umzusetzen.
Hand aufs Herz: Im Nachhinein, wenn die Aufnahme veröffentlicht ist – stellt sich dann heraus, dass Sie mit Ihrer Kritik Recht hatten?
[lacht] Ja – ich glaube schon! Aber auch nicht immer! Es gibt auch den Effekt, dass ich beim Schneiden feststelle, dass ich während der Aufnahme etwas angestoßen habe, und denke, das war vielleicht doch keine so gute Idee. Und dann verwende ich die Takes, die vor meinem Vorschlag aufgenommen wurden. Aber es ist doch so, dass ich mich mein ganzes Leben mit Aufnahmen befasse und das ist schon eine sehr spezielle Sichtweise, die sich aus dieser Erfahrung ergibt. Natürlich gibt es auch Künstler, die über sehr viel Aufnahmeerfahrung verfügen…
"...und ich denke, das war vielleicht doch keine so gute Idee."
Ich denke, dass selbst ein sehr berühmter Künstler selten über 50 CDs aufgenommen haben dürfte. Und sie haben wahrscheinlich hunderte Aufnahmen gemacht, oder?
Ja, es gibt einige Künstler, die noch mehr Aufnahmen gemacht haben als ich, aber das sind sehr wenige. Und Tonmeisterkollegen, die noch länger im Beruf sind als ich, haben sicher mehr aufgenommen, als jeder Künstler auf der Welt.
Wir haben für „Passionato“ und Schubert "31" bereits bei Aufnahmen zusammengearbeitet. Fabian Müller spielte den piano duo Flügel „Op. 3535018“. Wodurch zeichnet sich für Sie ein guter Flügel aus?
[lacht] Das ist eine weitreichende Frage! Ein wichtiger Punkt, den ich nicht direkt beurteilen kann, obwohl ich selber Klavier spiele: Der Flügel muss dem Künstler ermöglichen, das, was er sich vorstellt, auch aus dem Instrument heraus zu bekommen. Das ist natürlich auch eine Fähigkeit, die ein Künstler mitbringen muss. Aber nicht jedes Instrument lässt das auch im gleichen Maße zu. Was den Flügel "353018", auf dem wir aufgenommen haben, besonders auszeichnet, sind seine Registerfarben. Die sind auf moderneren Instrumenten nicht immer so zahlreich vorhanden. Natürlich klingt auch da ein tieferer Ton tiefer als ein höherer, aber nicht farblich anders. Und wenn man in Registern denkt – man denkt z.B. bei den tieferen Lagen an ein Cello oder an ein Fagott, bei höheren Lagen an eine Geige oder an eine Flöte – dann kommt auch die Vorstellung einer anderen Klangfarbe mit hinein. Und das ist etwas, das ich bei dem „353018“ viel ausgeprägter finde als bei vielen anderen Instrumenten. Das scheint mir eine andere Klangästhetik zu sein, und das ist, was ich am meisten schätze.
Dazu kommen noch zwei weitere Dinge: Der „353018“ hat einen sehr schön singenden Diskant, was auch nicht jeder Flügel mitbringt, und der tiefe Bass kann, wenn man das will, relativ „sprechend“ klingen. Muss er nicht, er kann auch großzügig glockenhaft sein, aber er hat auch diese Qualität. Und wenn man das möchte, kann man das auch so spielen.
Eine andere Klangästhetik: "Op. 353018"
Ich habe immer stärker den Eindruck, dass in fast allen Bereichen der Gesellschaft „Quantität vor Qualität“ gilt. In die Musik übertragen würde das z.B. bedeuten, dass Lautstärke vor Klang geht. Kennen Sie diese Diskussion?
Ja, das kenne ich und ich unterschreibe diesen Eindruck auch! Und das ist ein ganz großer Nachteil! Reine Lautstärke ist vor allem bei Aufnahmen ein Nachteil. Im Konzert kann ich sogar noch erkennen, wie reine Lautstärke auch etwas Packendes haben kann. Bei Aufnahmen aber kann ja jeder selber die Lautstärke zu Hause so einstellen, wie er es haben möchte – und die reine dB Zahl sagt am Ende überhaupt nichts aus. Die Klangfarbe ist das, was man braucht. Und man kann durchaus auch einen lauten Klang haben wollen, der am Ende auch hart ist und scharf – aber die Härte und die Schärfe ist es, und nicht die Lautstärke, die man braucht! Genauso kann man einen lauten Klang haben, der rund ist und ausgewogen. Und das ist auch die Klangfarbe, die man braucht, nicht die reine Lautstärke.
Auch im Kollegenkreis haben wir immer wieder die Diskussion über - für mich falsch verstandene - „Dynamik“. In meinen Ohren schreien die Flügel bereits, aber es kommt trotzdem nichts aus ihnen heraus. Die Instrumente haben nur wenige Obertöne und die Klänge selbst tragen nicht. Wie erklären Sie einem Laien den Begriff „Dynamik“?
Dynamik ist für Tonmeister ein ganz klar definierter Begriff. Es ist der Unterschied zwischen dem leisesten und lautesten Ton. Es ist praktisch die Bandbreite an Lautstärke-Abstufungen, die man erreichen kann. Dabei ist unerheblich, wo der lauteste Ton angesetzt wird. Der kann auch gerne etwas leiser sein, wenn der leiseste Ton entsprechend weiter unten beginnt. Ein kleines Beispiel ist ein alter Hammerflügel, der bei weitem nicht die Lautstärken erreichen kann, wie ein moderner Flügel. Dafür kann er aber sehr, sehr, sehr leise und zart spielen und erlaubt auch im Leisen noch unglaublich viele Abstufungen. Dieser Hammerflügel hat dadurch eine größere Dynamik als so mancher Konzertflügel, obwohl er nicht die gleiche Lautstärke erreichen kann.
Sie haben einen Laptop und damit verbunden einige Knöpfe und Regler; davor stehen die Mikrophone und dann kommen schon die Musiker. Wie viel bei der Qualität Ihrer Arbeit ist Technik und wie viel ist tiefe menschliche Empfindung, die durch kein Gerät ersetzt werden kann, sowohl vor, als auch hinter dem Mikrofon?
Fast alles ist menschliche Empfindung! Natürlich müssen die Mikrofone gut platziert sein und eine hohe Qualität haben. Aber das alles macht die Aufnahme nicht gut.
"Fast alles ist menschliche Empfindung!" Johannes Kammann und Fabian Müller bei der Aufnahme von "31"
Das ermöglicht nur, das alles, was man an Klang, aber auch an musikalischen Feinheiten auf der Bühne erzeugt, überhaupt auf der Aufnahme gehört werden kann. Aber egal, wie fein man diese Technik einstellt - das Wesentliche entsteht vor dem Mikrofon.
…aber auch dahinter, oder? Ich meine jetzt die menschliche Empfindung, die Sie bei der Einstellung der Technik und der Beurteilung des Gehörten haben…
Ja, das spielt eine große Rolle. Indem ich – hoffentlich – die Künstler durch meine Arbeit zu noch tiefergehendem Ausdruck bringe.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Welche Aufnahme möchten Sie unbedingt noch machen?
„Dichterliebe“, den Liederzyklus von Schumann, würde ich gerne aufnehmen! Das wäre ein Traum für mich und dieser Wunsch ist noch nicht an mich herangetragen worden. Also jeder, der „Dichterliebe“ gerne aufnehmen möchte, bitte melden! Ich stehe bereit!
Und was macht die „Dichterliebe“ für Sie so besonders?
Da kommt viel zusammen: Die Musik! - Wunderschön! Die Dichtung! - Fantastisch! Es gibt vieles: kurzweilig, lustig, auf den Punkt gebracht - und dann wiederum gibt es Momente, in denen man sehr viel Zeit für das Gefühl hat. Außerdem habe ich schon immer eine große Faszination für die Stimme gehabt. Ich arbeite gerne mit Sängern und besonders gerne mag ich die Tenorstimme. Und dazu kommt ein wunderbarer Klavierpart, der, von einem guten Pianisten gespielt, auch für sich genommen schon die Aufnahme lohnenswert macht.
"Also jeder, der „Dichterliebe“ gerne aufnehmen möchte, bitte melden! Ich stehe bereit!"
Viele unserer GesprächspartnerInnen meinten, dass ein Live-Konzerterlebnis durch nichts zu ersetzen sei. Was wäre Ihr bestes Argument für eine Aufnahme?
Es gibt natürlich die praktischen Argumente, dass man die Aufnahme zu jeder Zeit an jedem Ort hören kann. Und dass das Konzert, wenn es stattfindet, nicht für alle zugänglich ist. Dass man häufig sehr viele Konzerte anhören muss, bis man einen solch besonderen Moment hört.
Aber wenn man es richtig versteht, gibt es in der Aufnahme eine Möglichkeit, einerseits mindestens so tief in den Ausdruck der Musik einzusteigen wie im Konzert, stellenweise vielleicht sogar tiefer, und auf der anderen Seite sehr viel von den Feinheiten, die in der Partitur stehen, umzusetzen – oft sogar mehr, als das im Konzert möglich ist.
Die besten Aufnahmen, die man erreichen kann, kann man sich auch als Konzert vorstellen. Das Problem ist nur, es gelingt meistens nicht, ein solches Konzert zu spielen.
Aber ich muss den Interviewpartnern Recht geben: Wenn es genau so im Konzert zu spielen gelingt, wie auf einer perfekten Aufnahme, dann ist das ein ungleich größerer Moment!
Was wünschen Sie Ihrer Branche für die Zukunft?
Verschiedene Dinge. Ich würde ihr wünschen, dass die Hörer wieder etwas mehr auf die Klangqualität achten. Dass die Qualität der Aufnahme wieder einen größeren Stellenwert hat. Es gab Zeiten, in denen das wichtiger war und das ist leider etwas verloren gegangen. Dann wünsche ich meiner Branche, dass weiter so viele junge, interessante Künstler und Künstlerinnen nachkommen, wie es gerade der Fall ist. Damit es auch in Zukunft sinnvoll, lohnenswert und interessant ist, weitere Aufnahmen zu machen. Es ist ja mittlerweile so, dass im Grunde jedes Stück von jedem namhaften Künstler aufgenommen wurde und man sich die Frage stellen muss, warum man das nochmal macht.
"Die Antwort kann nur in der künstlerischen Persönlichkeit der nachkommenden Künstlerinnen und Künstler liegen."
Die Antwort kann nur in der künstlerischen Persönlichkeit der nachkommenden Künstlerinnen und Künstler liegen. Solang sie diese Persönlichkeit und die musikalische Aussage mitbringen und das Publikum erreichen, ist für mich die Zukunft meiner Branche gesichert!
Johannes Kammann, ich danke Ihnen für dieses Gespräch!